Interview mit Prof. Dr. Harald Lesch

30. Juli 2021|In Im Interview, Klima-Wissen

»Wenn wir nicht schnell genug sind, kippt das Klima weg!«

Interview mit Prof. Dr. Harald Lesch

Klimaschutz geht alle an. Doch: Wie viel Zeit bleibt uns noch? Was genau ist zu tun? In welcher Reihenfolge? Und von wem? Warum geht das alles so schleppend? Wir trafen den Astrophysiker und Klima-Experten Prof. Lesch im April 2021 in München zu einem Gespräch und fragten ihn in Sachen Klimawandel nach dem Stand der Dinge, nach Handlungsoptionen und der Dringlichkeit …

Herr Prof. Lesch, ganz konkret: Wo stehen wir heute?

Wir stehen an einer Wegkreuzung: Wenn wir nicht schnell genug sind bei der Reduktion der Treibhausgase, dann kippt das Klima weg! Das gilt nicht nur für Bayern, das gilt für Deutschland, für Europa, für die ganze Welt. Wir sehen an allen möglichen Indikatoren, dass es wirklich ganz ganz dringend ist, JETZT die Richtung zu wechseln.

Ist das Zwei-Grad-Ziel überhaupt noch zu schaffen?

Es gibt eine Reihe von Extrapolationskurven, die zeigen, wie viel Kohlenstoff wir überhaupt noch in die Atmosphäre entlassen dürfen. Inzwischen sind wir so weit, dass es einen ziemlich radikalen Schnitt braucht: Wir müssen richtig heftig runter mit der CO2-Emission, weil u. a. die natürlichen Kohlenstoff-Kreisläufe durch die allgemeine globale Erwärmung schon so angeregt sind, dass wir immer schneller und schneller sparen müssen. Aber: Ja, es geht noch! Noch hätten wir die Möglichkeit, es zu schaffen.

Wie viel Zeit bleibt uns noch?

Eine Dekade. Entweder wir kriegen es jetzt und in den nächsten zehn Jahren hin, oder es ist vorbei. Danach bleibt uns so wenig Zeit, dass wir es praktisch überhaupt nicht mehr schaffen können.

… was sind die zentralen Stellschrauben?

Das Allerwichtigste ist, so schnell wie möglich aus den fossilen Ressourcen rauszukommen und so viel wie möglich erneuerbare Energie zu haben. Der gesamte Energieverbrauch in Deutschland reguliert sich über die Mobilität, über die Industrie, über die Haushalte und vor allen Dingen auch über die Wärme für die Häuser. Hier in Zukunft Strom einzusetzen aus erneuerbaren Quellen, das ist ganz ganz wichtig. Was die gesamte Energiemenge in Deutschland betrifft, sind die erneuerbaren Energien aktuell gerade mal ein Fünftel, das heißt: Wir haben noch nicht mal richtig angefangen!

Oftmals scheint es, als haben die Politik und auch Teile der Wirtschaft verstanden, was auf dem Spiel steht. Wer bremst und warum?

Es gibt auf jeden Fall eine ganz deutliche Äußerung von sehr weiten Teilen der Politik und auch der Industrie nach dem Motto: Wir haben verstanden. Aber aus dem „verstanden“ alleine folgt offenbar noch keine Handlung. Wir müssten viel schneller auf der Energieangebotsseite sein. Wenn erneuerbare Energien zu einem vernünftigen Preis angeboten werden können – wettbewerbskonform, ohne dass irgendjemand bevorzugt wird – dann würde es klappen.

„Was für Spielräume hinterlassen wir eigentlich unseren Kindern, unseren Enkelkindern?“ 

Jüngst kam die Meldung vom Verfassungsgericht, dass das Deutsche Klimagesetz in Teilen verfassungswidrig sei. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Also erst mal find ich’s großartig, dass so Begriffe wie Generationengerechtigkeit auf einmal in der Debatte sind. Das halte ich für extrem wichtig für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft, dass wir aus dem Jetzt auch über die Zukunft nachdenken: Was für Spielräume hinterlassen wir unseren Kindern, unseren Enkelkindern, wenn wir so weitermachen wie bisher?

Ich muss sagen, ich hätte nicht damit gerechnet, dass das Verfassungsgericht das in dieser Deutlichkeit formuliert. Ich glaube, dass es jetzt ganz schwer wird für alle diejenigen, die meinen „ach komm, so schlimm ist das doch alles nicht mit dem Klimawandel, da machen wir erst mal die Klimaziele für 2030 und dann gucken wir mal  weiter“. Nein, jetzt muss konkret angesagt werden, was soll nach 2030 passieren. Jetzt müssen wir uns hinsetzen und müssen einen Plan machen, eine Liste mit den Maßnahmen, die notwendig sind.

Also ein echter Meilenstein?

Ja, das ist ein historisches Urteil. Das Verfassungsgericht hat sich zum Thema Klimaschutz so noch nie geäußert. Und dass es auch praktisch herausgefordert worden ist durch diejenigen, die sich da beklagt haben. Da sind vor allen Dingen auch viele junge Leute dabei – ein gutes Viertel, vielleicht ein Drittel hängt mit Fridays for Future zusammen. Diese Bewegung hat es wirklich geschafft, jetzt in den Gerichten Recht zu bekommen.

Was können wir jetzt schon nicht mehr verhindern?

Von der bayerischen Perspektive ausgeheng, ist das erste klare Bild, dass die Gletscher in den Alpen verschwinden werden. Wir werden eine ganze Reihe von schweren Extremwetterereignissen hinter uns gebracht haben und sicherlich mit Klimaanpassungsmaßnahmen zu tun haben: Diese betreffen den Hochwasserschutz, immer häufiger werden wir aber auch mit Waldbränden zu tun haben. Da werden wir unsere Freiwilligen- und Berufsfeuerwehren ausbauen müssen. Wir werden damit umgehen müssen, dass wir über längere Zeit Dürren haben, die unsere landwirtschaftliche Versorgung durchaus kritisch werden lassen. Unser Grundwasserspiegel sinkt – nicht in allen Teilen von Bayern, aber zum Beispiel im Norden von Bayern.

Und in der Zwischenzeit werden wir erneuerbare Energien ausbauen. Wir werden deutlich mehr Elektromobilität auf den Straßen haben, wobei wir nicht alle Autos, die Verbrenner sind, in Zukunft durch Elektroautos ersetzen werden. Wir werden weniger Autos haben und hoffentlich in der Fläche ein ziemlich gutes öffentliches Verkehrsnetz mit elektrischen Bussen, die digital organisiert sind.

Summa summarum würde ich denken, dass wir uns daran gewöhnt haben, dass es über längere Zeit sehr heiße Sommer geben wird, was natürlich auch die Gesundheitssituation vieler Menschen in Deutschland beeinflussen wird. Wie reagieren Krankenhäuser darauf, wie der medizinische Sektor überhaupt? … auch da wird es Veränderungen geben. Wir werden in Deutschland neue Allergien sehen und durch Pflanzen aus dem Süden eine ganz neue Pollensituation haben. … ich befürchte, dass wir spannenden Zeiten entgegengehen.

Was können die Menschen in Bayern ganz konkret und sofort in ihrem Alltag ändern und umsetzen, was tatsächlich sinnvoll ist?

Natürlich kann ich mir jeden Tag den Kopf darüber zerbrechen, was ich alles tun könnte – kalt duschen und andere Sparmaßnahmen … Aber das ist nicht der Punkt. Das Allerwichtigste ist tatsächlich, kampagnenfähige Begriffe zu entwickeln, damit auf die Straße zu gehen und die Politik dazu zu bringen, genau die Rahmenbedingungen zu schaffen, innerhalb derer wir ganz automatisch das Richtige tun.

„Einen klaren Willen zum Klimaschutz drückt keine schweigende Mehrheit aus.“

Wir alle müssen unseren gewählten Repräsentantinnen und Repräsentanten klarmachen: „Wir wollen eine ordentliche Klimaschutzpolitik, die ökologisch gut nachhaltig  ist. Nehmt das ernst, ansonsten werden wir euch bei der nächsten Wahl schlicht und ergreifend nicht mehr wählen.“

Es muss deutlich sein, dass der Souverän – und das sind wir alle – einen klaren Willen zum Klimaschutz hat. Und diesen Willen, den drückt keine schweigende Mehrheit aus … die schweigt nämlich, sondern sie muss sich bemerkbar machen. Und in diesem Sinne ist politischer Aktivismus hier eigentlich erste Bürger:innenpflicht!

Professor Dr. Harald Lesch

ist Astrophysiker, Naturphilosoph sowie Wissenschaftsjournalist und vielen bekannt als Moderator der ZDF-Wissenschaftsreihe Leschs Kosmos. Er ist Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München und Lehrbeauftragter für Naturphilosophie an der Hochschule für Philosophie München.

Das gesamte Interview mit Prof. Lesch sowie weitere spannende Gastbeiträge und Interviews lesen Sie im Programmheft zur Klima-Aktionswoche Ostallgäu/Forchheim.